Rede unseres OV Mitglieds Lore Hauschild anlässlich des Gedenktages am 14. August 2022:
Ich begrüße Sie und Euch sehr herzlich,
sehr geehrter Generalkonsul Herr Wawrzyniak, sehr geehrter Stellvertretender Bürgermeister Herr Große-Wöstmann, liebe Gäste, liebe Freundinnen und Freunde, liebe Genossinnen und Genossen!
Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski gehörten zum Heer der Kiegsgefangenen, Zwangsarbeiter und Zwangsarbeiterinnen, die im ganzen Deutschen Reich und auch in Greven zur Arbeit eingesetzt wurden. Zwei junge, polnische Männer, die eigentlich ihr Leben vor sich hatten, hingerichtet von den Schergen des Nazi-Regimes.
Die wehrfähigen deutschen Männer waren im Krieg, so dass der faschistische Staat, um Landwirtschaft und industrielle Produktion am Laufen zu halten, die Arbeitskraft von polnischen und russischen Zwangsarbeitern ausbeutete.
Auch wenn der Umgang mit ihnen im Einzelfall unterschiedlich sein konnte, so wurden sie meist nur so weit versorgt, dass ihre Arbeitskraft erhalten blieb, schlechtes Essen, menschenunwürdige Unterkunft, Schikanen und Kontrollen, Prügelstrafen, Verpflegungsentzug, Arrest gehörten zum Alltag.
Besonders die Menschen aus Polen und Russland galten nach der NS-Rassenlehre als sogenannte „slawische Untermenschen.“ Man behandelte sie so grauenhaft, dass ihre Sterblichkeitsrate noch deutlich höher lag als die Todesrate der anderen Zwangsarbeiter.
Im ländlichen Raum erging es ihnen manchmal etwas besser als in den Zechen und Fabriken. Bei manchen bäuerlichen Familien durften sie mit am Tisch sitzen, aus der gemeinsamen Arbeit auf dem Hof ergab sich schon mal ein kleiner Teil gemeinsamen Lebens.
Um sie als Arbeitskräfte ausbeuten zu können, war es unvermeidlich, dass sie mit der deutschen Bevölkerung, den selbsternannten „Herrenmenschen“, in alltäglichen Kontakt kamen.
Eine sichtbare Unterscheidbarkeit war nicht garantiert, deshalb mussten Polen, also auch Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski, ein deutlich sichtbar aufgenähtes „P“ auf ihrer Kleidung tragen. Damit standen sie außerhalb schützender Gesetze.
Zu dieser Kennzeichnungspflicht gehörten weitere Ausgrenzungsmaßnahmen:
- Nur so viel Nahrung, dass die Arbeitskraft erhalten blieb, immer am Existenzminimum
- Verbot, den zugewiesenen Aufenthaltsort zu verlassen
- Ausgangssperre ab Dämmerung
- Nichts durfte ihnen gehören außer der Kleidung. Kein Feuerzeug, kein Fahrrad, nichts
- Gänzlicher Ausschluss vom gesellschaftlichem Leben, auch dem Gottesdienst
- Öffentliche Verkehrsmittel: verboten
Das heißt im Klartext: Zwangsarbeiter waren zu einem unwürdigen, schrecklichen Leben gezwungen, das aus stetiger Ausbeutung und Bedrohung bestand, wenig Hoffnung, kaum aushaltbar.
Rechtsstaatliche und menschenrechtliche Prinzipien hatten keinerlei Bedeutung mehr. Die Konstruktion rassischer Ungleichheit diente als Legitimation des faschistischen Systems.
Liebe und Menschlichkeit als unvereinbar mit Rassismus und Nationalismus erkannt, stellten eine für den Faschismus unkontrollierbare Gefährdung dar.
Deshalb griff das nationalsozialistische Herrschaftssystem regulierend und strafend in das Private, in das Intime ein.
Mit Drohung und Angst, mit Terror und Gewalt.
Und formulierte Gesetze und Erlasse: Wegen sogenannter Gefälligkeitsdelikte wurden Deutsche bestraft, wenn sie z.B. einen Brief für einen Polen verschickten.
Das, was unsere Mitmenschlichkeit ausmacht, die freundliche Zuwendung zum anderen, Lächeln und Mitgefühl, Unterstützung und freundschaftliches Beisammensein,
Zärtlichkeit und Liebesbeziehung, ein Spaziergang, etwas Schenken: Essen oder Kleidung, all das galt als „Verbotener Umgang“ und wurde brutal bestraft. Willkürlich, ohne Gerichtverfahren
Und trotzdem: Es gab diese winzigen Lichtblicke, gelegentliche kleinste Freuden.
Auch unter den Deutschen waren Menschen, die ihr Menschsein erhalten konnten: ein Lächeln, ein zugestecktes Butterbrot, ein freundliches Wort. Schon diese Winzigkeiten waren mit den sogenannten Polen-Erlassen 1940 verboten worden.
Verhöre, Folter, Gefängnis im Gestapo-Keller in Münster, Vernichten in Konzentrationslagern, Hinrichtung. Die von der Gestapo als sogenannte „Sonderbehandlung“ angeordnete Hinrichtung konnte schon aufgrund unbegründeter Vorwürfe oder durch Denunziation, vollstreckt werde.
Faschismus funktionierte auch in Greven, hier bei uns. Franciszek Banaś wurde durch Denunziation vorgeworfen, eine Liebesbeziehung zu einer Grevenerin zu haben.
Was bei diesen Fällen oft vergessen wird, ist das Schicksal und die Bestrafung der Frauen. Der Grevenerin, Anna R., wurde Rassenschande und Ehrvergessenheit vorgeworfen, sie wurde verhaftet und kam bis zum Kriegsende in das KZ Ravensbrück.
Liebe als Straftatbestand, als Rechtfertigung, als Begründung für die Hinrichtung
Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski, sie konnten den 8. Mai, den Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus nicht mehr erleben. Für uns, die Nachfolgegenerationen, ist der Nationalsozialismus vorbei, wir konnten jahrzehntelang hier in Deutschland in Frieden leben.
Aber das muss sofort eingeschränkt werden, dieser Friede galt und gilt nicht für alle, und schon mal gar nicht bis heute 2022, denn das Übel des Rassismus wirkt in Köpfen und Seelen der Menschen weiter und bestimmt ihr Verhalten. Auch unser Verhalten.
Auch wir müssen uns die Frage stellen, inwiefern unser Wohlstand auf der Ausbeutung von Kindern, Frauen und Männern außerhalb Europas fußt. Wenn Frauen in der Textilfabrik in Bangladesh zu Tode kommen,
Kinder und Männer sich beim Kobalt-Abbau im Kongo oder Lithium-Abbau in Chile in Krankheit und Tod schuften. Sehen wir das, wenn wir unser Handy benutzen? Sind wir nicht auch hier gefordert, rassistische Ausbeutung zu benennen und zu hinterfragen? Wenn alles Unrecht benannt werden sollte, müssten wir hier lange beisammen stehen.
So denke ich beispielhaft an
- Die zigtausend Menschen, farbige Menschen, die ihr Leben auf der Flucht in dem riesigen Grab Mittelmeer verloren haben und verlieren werden
- Die wir durch „push backs“ in Folter und Tod schicken
- Ich denke an das Töten und Morden durch den verbrecherischen Angriff Russlands auf die Ukraine
- An die vielen anderen aktuellen Kriege im Jemen, in Syrien, in Kurdistan, in Mali
- An die Menschen, die Rassismus erleben müssen, wenn sie an der rettenden Grenze zu Polen zurückgewiesen werden, weil sie schwarz sind, weil sie aus afrikanischen Ländern kamen, wie die Medizinerin Kaningiriue Jatamunua.
- Auch in unserer unmittelbaren Nähe:
Die Geflüchteten in Deutschland, die wir einteilen in 1. Und 2. Klasse, indem wir sie nicht gleichermaßen in unseren Schutz nehmen, sondern, wie z.B. in der zentralen Unterbringungseinheit in Ibbenbüren, je nach Herkunftsland, je nach Ethnie besser oder schlechter behandeln
- Das beunruhigende Wiederaufflammen faschistischer Aktionen auch bei uns in Militär und Polizei, versteckt in Chat-Gruppen und offen, auch in Gewalttaten
Ich nehme zwei Blickwinkel wahr: Mit dem Mord an George Floyd in den USA ist eine weltweite Ächtung des Rassismus durch Aktivisten sichtbar geworden, „black lives matter“ bleibt wirksam, global und bei uns und zeigt deutlichen Widerstand gegen rassistische Strukturen
Aber ich sehe auch: Den verzweifelten Jungen aus dem Senegal in Dortmund, mit dem Messer in der Hand.
Allein, dass wir uns die Frage stellen müssen: Hätte der Polizist auch seine Maschinenpistole so tödlich eingesetzt, wenn es ein weißer Junge gewesen wäre?
Letztendlich:
Es gibt nicht viel Tröstliches zu sagen, außer vielleicht: Wir stehen hier, wir gedenken der beiden jungen Männer, Franciszek Banaś und Wacław Ceglewski, und wir sind uns einig, dass ihnen durch Faschismus und Rassismus schlimmstes Unrecht geschah.
Das war die an die eigene Bevölkerung gerichtete Botschaft:
„Gebt ihnen nichts, kein Essen, kein Lächeln, nichts, sie sind es nicht wert!“
„Verbotener Umgang“
Und an die Zwangsarbeiter gerichtet: “ Passt auf, kein Umgang mit Deutschen. Wir töten euch!“
Das werden wir nicht vergessen, deshalb sind wir hier, nennen ihre Namen und geben das Gedenken auch durch diesen Stein mahnend weiter.
Wir wissen: wir dürfen uns nicht mit Gedenken begnügen, das reicht nicht, das reicht überhaupt nicht, es muss das notwendige Handeln daraus folgen
Und so ende ich auch dieses Jahr, wenn auch ein wenig verzweifelter, mit dem Aufruf
Kein Vergessen
Auf das Leben.